26. und 27. Mai 2022
Elsass als Tourismusregion? Hm, irgendwie hängt ein wenig der Nimbus der Verstaubtheit über diesem Landstrich, eine Destination für Busreisen, wo weinselig gemachte Senioren durch blumengeschmückte Fachwerkdörfer gescheucht werden, um unnötigen Andenkenplunder zu erstehen. Ja, wenn man genau das sucht, wird man sicher fündig werden. Zum Glück ist das Elsass landschaftlich und kulturell so vielfältig, dass man ganz entspannt eine oder zwei Wochen sehr abwechslungsreichen Urlaub im wahrsten Sinne genießen kann.
Petra, Franz und ich dampften diese Zeitspanne auf zwei intensive Tage ein. Besuche bei allen meinen drei Alsace-Winzern, Natur und Kultur wollten untergebracht werden, schließlich waren wir nur auf Durchreise nach Vézelay, Burgund.
Domaine Agapé
Unterkunft für zwei Nächte fanden wir in einer angenehmen Ferienwohnung der Domaine Agapé in Riquewihr, einem touristischen Hotspot erster Güte. Vincent Sipp entstammt der Weinbauern-Dynastie der Sipps. 2007 gründete er seinen eigenen Betrieb, um seine Vorstellung von Wein auch konsequent umsetzen zu können.
Wenn ich Vincent und seine Frau Clarisse mit einem Wort beschreiben müsste, wäre das „Herzlichkeit“. Anfangs, noch erledigt von 9 Stunden Autofahrt war diese ungekünstelte Herzlichkeit beinahe überfordernd. Nach den ersten Kostgläsern ließen wir uns aber gerne zu ihrem Restaurantbesuch mit Freunden dazueinladen. Mit Einheimischen lernt man die Gastronomie einer Region gleich richtig kennen, natürlich fernab der Touristenfallen.
Essen im Elsass
Was speist man? Vieles, das auch in Österreich vorkommt. Jede Menge Schweinernes, Bauernschmaus mit Sauerkraut, Stelze, Kalbsgeschnetzeltes, Flussfische wie Karpfen, Forelle und Zander, Germknödel, Gugelhupf, also durchaus deftig. Aber auch eher eigentümliches, ebenso deftiges wie Schnecken, Gänseleber und Flammkuchen. Diese tarte flambée besteht aus einem sehr dünn ausgewalkten Brotteig, der in der klassischen Variante mit einer Art Sauerrahm, roten Zwiebeln und Speck belegt und im Ofen bei hoher Temperatur knusprig gebacken wird. Die Elsässer verputzen in größerer Runde einige Flammkuchen gemeinsam als Vorspeise, dazu wird meist ein Sylvaner oder Pinot Blanc gereicht. Vincent orderte einen Pinot Blanc aus dem eigenen Keller, der passte wirklich hervorragend.
Übrigens ist die Dichte an gehobener Küche und Sternerestaurants sehr hoch. Gut essen ist jedenfalls ziemlich einfach.
Die Weine von Agapé
Vincent macht sich viele Gedanken. Terroir, Klimawandel, Image des Vin d’Alsace, Vermarktung, Konkurrenz (positiver wie negativer Art), sehr schnell befindet man sich in einer regen und witzigen Diskussion über diese Themen. Er erzählt gern, hat unglaublich viel praktisches und theoretisches Wissen und einen klaren Blick, und er scheut sich auch nicht, die Probleme direkt anzusprechen. Obwohl viele junge, engagierte Weinbauern zusehends die Betriebe und Wirtschaftsweisen ihrer Eltern umkrempeln, den biologischen Anbau und neue Ausbaumethoden (Naturwein, Orange, …) forcieren, herrscht noch ein großes Beharrungsvermögen bei den wichtigen Entscheidungsträgern. Die Weinwelt ist auch im Elsass im Umbruch, schneller als in noch traditionelleren Regionen wie dem Burgund oder der Champagne, aber für Vincent‘ Geschmack viel zu langsam.
„Kommt ihr mit dem Pinot Noir als einziger roter Traube durch den Klimawandel?“ – „Nein, unmöglich.“
Leicht provokant: „Willst Syrah pflanzen?“ – „Ja, wir müssen schnell damit beginnen.“
Die Weine der Domaine Agapé sind durch die Bank wie eine flüssige Verkörperung des Winzerpaares: großzügig, aber ohne süßlichem Beiwerk.
Pinot Blanc, Sylvaner, Riesling und Pinot Gris aus der Reihe Expression vereinen Frucht und Genuss sehr gelungen, fördern die Trinkfreude und ermüden den Gaumen nicht. Sie sind sehr universelle Speisenbegleiter, auch zu asiatischer Küche. Daher haben Weine aus dem Elsass eine solide Fangemeinde in Ostasien. Koreanische Importeure nehmen ung’schaut eine Palette Riesling, erklärte Vincent, nachdem ich irritiert das Rückenetikett mit mir unbekannten Schriftzeichen studiert hatte.
Äußerst interessant war die vergleichende Verkostung zweier Rieslinge aus den Grand Cru Lagen Osterberg und Rosacker. Dazu ein kleiner Exkurs zu diesen besonderen Weinen.
Grand Cru im Elsass
Grand Cru (Großes Gewächs) bedeutet im Elsass eine herausgehobene Einzellage, die ein gutes Terroir exemplarisch abbildet, d.h. Geologie, Boden, Hangausrichtung sollten ziemlich homogen sein. Seit 1975 wurden insgesamt nach langem Hickhack 51 Lagen ausgewiesen. Die sogenannten edlen Rebsorten Riesling, Pinot Gris, Gewürztraminer und Muscat dürfen reinsortig als Grand Cru bezeichnet werden. Nur am Zotzenberg in Mittelbergheim darf auch der Sylvaner zu diesen Weihen kommen. Nicht jedes Weingut ist mit Grand Crus gesegnet. Ein Segen, weil erstens diese Weine fast immer die qualitative Speerspitze bilden und zweitens auch preislich sehr, sehr deutlich an der Spitze liegen. Wenn man sich intensiver mit den Weinen des Elsass auseinandersetzen möchte, sollte man sich die Eigenheiten der wichtigen Lagen intellektuell und sensorisch aneignen.
Zurück zu den Grand Crus von Vincent. Beachtliche drei Lagen, hauptsächlich mit Riesling bestockt, kann Agapè vorweisen: Schoenenbourg in Riquewihr, Rosacker in Hunawihr und Osterberg in Ribeauvillé.
Schoenenbourg ist die sonnenverwöhnte, steilere Südlage direkt oberhalb des Ortes. Den Weinen merkt man die Sonne auch an, der Riesling wird relativ früh gelesen, bringt klare, kräftige Frucht, jedoch mit Lagerpotential.
Der Osterberg an einem Osthang mit leichten Böden liefert hohe Säurewerte und Frische, kombiniert mit guter Substanz durch späte Lese. Fruchtigkeit und Mineralität verbinden sich harmonisch. Ein Riesling wie aus einem Guss.
Der Rosacker ist die Paradelage, und wie ich das verstanden habe, auch Vincent‘ persönlicher Favorit. Die Nähe zum Wald, steile, südöstliche Ausrichtung, Kalkböden und eine langsame Ausreifung der Trauben bringen Konzentration, gute Säure, feine Salzigkeit und Mineralität. Ein Wein, wie gemacht für langes Lagern. Im Alter erscheinen kaum Petrolnoten (Tankstellengeruch), welche ja manche Konsumenten von gereiften Rieslingen Abstand nehmen lassen.
Das durften wir auch gleich überprüfen. Zur Nachspeise bei unserem abendlichen Picknick mit Clarisse und Vincent opferte der Hausherr eine seiner letzten Flaschen Rosacker 2008. Was soll ich sagen, ein Traum zum Niederknien. Der Wein erreichte eine tolle Tiefe, viel reife Marille und die Säure zog noch klar über den Gaumen.
Als würdiger Abschluss der Verkostung bei der Domaine Agapé kam ein Gewürztraminer Vendanges Tardives aus dem Jahr 2010 auf den Tisch. Die Süße in dieser Auslese hat sich schon ein wenig zurückgezogen, viel Gewürz und feine Säure runden perfekt ab. Sehr, sehr guter Wein.
Fazit: Tolle Menschen, tolle Weine. Hoffentlich schaffen Clarisse und Vincent es, im Winter nach Wien zu reisen, das würde garantiert ein legendärer Verkostungsabend werden.
Domaine Jean-Claude Buecher
Franck, der dynamische Juniorchef des Hauses, überantwortete unsere Verkostung seiner Mutter Sylviane, die uns als erste Gäste an einem Freitag um 10 Uhr in Wettolsheim nahe Colmar fürsorglich betreute und uns in die Geheimnisse des Crémant d’Alsace einweihte. Buecher hat nämlich als Alleinstellungsmerkmal der einzige Nur-Schaumweinerzeuger im Elsass zu sein. Jahrzehntelange Erfahrung bündelt sich somit in bemerkenswerter Qualität, die so manchem Champagnerhaus gut anstehen würde.
Was ist Crémant und was macht einen guten Crémant aus?
Es ist einfach gesprochen die Bezeichnung für einen Schaumwein aus acht definierten Weinregionen Frankreichs, der mittels traditioneller Flaschengärung hergestellt wird. D.h. bereits fertig vergorener Weißwein wird in die bekannten Sektflaschen gefüllt und eine Mischung aus Zucker und Hefen beigefügt. Die Hefen wandeln in einer zweiten Gärung in der geschlossenen Flasche den Zucker in Alkohol und Kohlendioxid um. Da das CO2 durch den Kronkorken nicht entweichen kann, löst es sich, die Bläschen sind geboren. Je länger die Flasche im Keller ruhen darf, desto feiner entwickeln sich die Bläschen (Perlage). Gleichzeitig sterben die Hefezellen nach getaner Arbeit ab und je länger sie in Kontakt mit dem Schaumwein bleiben, desto komplexer präsentiert sich das Aromen- und Geschmacksspektrum.
Wird es langsam Zeit zum Abfüllen und Etikettieren, befördert das berühmte Rütteln und Schiefstellen der Flaschen die Hefe in den Flaschenhals. Beim Entfernen des Kronkorkens (Degorgement) schießen der Hefepropfen und ein wenig Schaumwein durch den innewohnenden Druck aus der Flasche. Die fehlende Menge wird mit der Dosage ausgeglichen, entweder Schaumwein aus anderen Flaschen oder mit einem Zuckerzusatz, der die Herbe bzw. Süße steuert. Hohe Zuckergehalte schmeicheln nicht nur dem Gaumen, sondern täuschen auch über qualitative Mängel des Schaumweins hinweg.
Also, die Voraussetzungen für guten Crémant sind
- Erstklassige Trauben bringen guten Grundwein, Resteverwertung minderwertigen Weins durch Versektung rächt sich umgehend.
- Lange Lagerung im Keller auf der Hefe (sur lattes), jedenfalls deutlich über den Minimalvorgaben der Regelwerke.
- Eher niedrige Dosage („Zero“ bis niedriger „Brut“ Wert: 0 bis ca. 8 g Zucker / Liter.)
Buecher lässt seine Crémants mindestens das Doppelte der vorgeschriebenen 9 Monate auf der Hefe liegen und füllt grundsätzlich nur mit Zero Dosage ab! Das ist schon mal eine klare Ansage.
Die Weine von Buecher
Als Einstieg kam der Esquisse zu seinen Ehren, je ein Drittel Pinot Blanc, Auxerrois und Pinot Noir von jungen Reben, derzeit 21 Monate auf der Hefe gelegen. Ein frischer, aber doch substanzreicher Schaumwein für den gepflegten Aperitif. Möchte ich umgehend ins Programm aufnehmen, leider hat er den kleinen Nachteil, dass er derzeit ausverkauft ist und vielleicht erst im nächsten Jahr wieder ein Kontingent zur Verfügung stehen wird.
Die gleiche Rebsortenzusammensetzung, jedoch von alten Reben liefert der Reflets 2016. Das letzte Degorgement lässt ihm schon 57 Monate Zeit im Keller zu einer gestandenen, eher mineralischen Charakteristik zu reifen. Großes Kino zu fairem Preis.
Die Fleur de Lys 2016, auch schon mit 54 Monaten auf der Hefe gesegnet, liefert einen vollmundigen, intensiven Pinot Blanc vom Grand Cru Pfersigberg.
Zum Abschluss schenkte uns Sylviane mit verschmitztem Lächeln noch die zwei Aushängeschilder der Domaine ein. Ihr erklärter Liebling ist die Kleine Wilde, La Petite Sauvage 2015, ein reinsortiger Pinot Blanc aus ausgesuchten Lagen. 65 Monate auf der Hefe, dafür eine erstaunliche Zitrusfrische mit mordsmäßig viel Substanz. Nicht minder beeindruckend der Sang Froid 2016, ein beispielhafter Blanc de Noirs von 100 % Pinot Noir mit Eichenholzausbau, 57 Monate auf der Hefe. Ersetzt beinahe eine Mahlzeit.
Fazit: Jede Sekunde dieses Besuchs merkten wir das jahrzehntelange Knowhow und die Handwerkskunst der Familie Buecher, gekrönt von der natürlichen Liebenswürdigkeit, die ein Elsässer Markenzeichen zu sein scheint. Herzlichen Dank, Sylviane, für den genussreichen Vormittag.
Domaine Vincent Stoeffler
Die Stoefflers habe ich auserkoren, die Weine abseits des Erwartbaren in meinem Sortiment zu stellen. Erstens hat der Chef, Vincent, jahrzehntelange Erfahrung in biologischem und biodynamischem Weinbau, und zweitens entwickelt sein Sohn Adrien zusehends seinen eigenständigen Stil in der Nature-Reihe. Daraus entstehen gelungene Naturweine, auch einige Orangeweine befinden sich mittlerweile darunter. So galt auch bei der Verkostung an diesem Freitagnachmittag unser Hauptaugenmerk diesen Varianten.
Wir waren nicht alleine, der Verkostungsraum platzte aus allen Nähten und wurde kurzfristig in den Hof erweitert. Informativ ging es auf alle Fälle zu, bei jedem der 55 (!) Weine gäbe es viele Geschichten zu erzählen. Bewundernswert, wie ruhig und zuvorkommend Sandrine, die erfahrene gute Seele des Hauses und Adrien die durstigen Kehlen versorgten. Wir fanden jedenfalls genug Zeit und Muße, die neuen Weine gemeinsam zu besprechen. Jetzt gibt es einen länger auf den Schalen vergorenen Muscat 2021, den dezidierten Orangewein Feu Follet 2021 (Muscat, Gewürztraminer, Pinot Gris). Beide Weine weisen eine hohe Süffigkeit auf und erfreuen auch den Gaumen ungeübter Orange-Konsumenten, was keineswegs selbstverständlich ist.
Substanzreiche Klasse liefern die Rieslinge des Jahres 2020 aus verschiedenen Lagen, vor allem der Vieilles Vignes und der Kronenbourg sind ob ihrer zischfrischen Salzigkeit sehr beeindruckend. Mal sehen, was auf der nächsten Palette Richtung Wien mitreisen wird.
Um nicht nur im schrägen Stoff zu baden, gönnten wir uns noch den feinen Crémant Blanc de Blancs Extra Brut und den Basisrotwein Pinot Noir Tradition 2021, der gekühlt im Sommer am Balkon unglaublichen Spaß macht.
Voilà, danke, Adrien, dass du mir auf liebenswürdige Art tiefere Einblicke in deine Naturweinphilosophie gewährt hast.
Ihr werdet es schon vermutet haben, das Elsass ist allein weintechnisch eine, nein, zwei, besser drei Reisen wert. Leute, Gegend, Kultur, Wein und Essen verbinden sich zu einem harmonischen und doch aufregenden Genussreigen.